Ein besonderer Tag

Lukas war hellwach, obwohl die Vögel ihr Morgenkonzert gerade erst begannen. Geweckt hatte ihn das aufgeregte, helle Gefühl in seinem Bauch und seinem Herz. Es schien in diesem Moment seinen ganzen Körper zu erfüllen – so sehr, dass seine Beine gar nicht mehr stillhalten wollten: Denn heute war sein Tag – sein Geburtstag. Er hatte schon vor Wochen begonnen zu fragen, wann es endlich soweit sein würde und das Warten schien kein Ende zu nehmen. Bis heute.

Endlich hörte er leises Fußgetrappel vor seiner Zimmertür. Lukas kribbelte es überall vor Aufregung. Er hörte seinen jüngeren Bruder leise zählen: „Eins … zwei … drei…“ und dann sangen sie gemeinsam „Wie schön, dass Du geboren bist….* – Langsam öffnete sich seine Zimmertür. Lukas schlug die Decke zurück, sprang aus dem Bett und wurde herzlich beglückwünscht. Danach gingen sie gemeinsam, Lukas voran, in die Küche.

Lukas schnupperte: Es roch nach Kerzen und gebackenem Kuchen. Es roch nach Geburtstag. Eine Welle der Freude durchströmte ihn. Auf dem geschmückten Esstisch brannten die Geburtstagskerzen. Sie verbreiteten ein wunderschönes, warmes Licht. Lukas fühlte sich ganz wunderbar und war richtig fröhlich.

Sein Tag begann fabelhaft. Es war Sonntag. Seine Geburtstagsfeier fand erst nächsten Samstag statt. Nachmittags kam Isa vorbei.

Sie schüttelte ihm überschwänglich die Hand und sagte: „Lieber Lukas, ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag. Ich finde es wundervoll, dich zu kennen. Ich habe eine Überraschung für dich – sie ist bei Sophia.“

„Verrätst du sie mir?“, fragte Lukas.

„Nö“, sagte Isa vergnügt und lachte, „es ist doch eine Überraschung! Komm.“

„Warte, ich nehm den Kuchen mit, den meine Mutter gebacken hat.“

„Ich habe schon Hunger“, sagte Isa.

Das Tor des Gartens stand wieder offen und ließ sie eintreten. Sophia hatte Tee und Saft bereitgestellt und saß gemütlich unter dem blühenden Apfelbaum. Lukas packte den Kuchen aus.

 „Marzipankuchen?“ Isa verschränkte die Arme und zog ein Gesicht.

„Was ist?“, fragte Lukas.

„Ich mag keinen Marzipankuchen. Das weißt du.“

„Aber es ist mein Geburtstag und ich liebe Marzipankuchen. Ich habe ihn mir extra gewünscht“, gab Lukas zurück.

Sie schwiegen beide. Zaghaft sagte Isa: „Ich mag kein Marzipan. Und ich hatte mich so auf den Kuchen gefreut.“ „Marzipankuchen ist eben mein allererstes Lieblingsessen. Ich habe vergessen, dass du kein Marzipan magst, weil ich es so lecker finde. Wenn ich an Marzipankuchen denke, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ihn jemand nicht mag.“

Sophia sah Isa an und dachte kurz nach: „Ich habe noch Plätzchen, magst du dir welche holen?“

Das tat Isa gern. Sophias Kekse waren lecker und ein guter Ersatz.

Isa überreichte Lukas nach dem Essen ein längliches Päckchen. Als er es aufriss, flog das Papier zu allen Seiten – zur Freude von Taffy, die angesprungen kam und mit dem Papier zu spielen begann. Lukas freute sich. Es war ein eigener Farbkasten, sogar ein doppelter. Mit feinen Pinseln dazu. „Danke“, Lukas sah Isa strahlend an, „ich würde ihn am liebsten gleich ausprobieren.“

„Ich habe auch noch etwas“, Sophia suchte in ihrer Schürzentasche.

Sie zog vier Perlen hervor. Eine war viel größer als die anderen. „Wir könnten sie anmalen, wenn du willst.“

„Cool“, antwortete Lukas. „Wieso sind es denn vier und eine größere?“, wollte Isa wissen und sah Sophia fragend an.

„Na, die ist für Taffy.“

Sie lächelte. „Sie spielt so gern damit.“

Als die Perlen zum Trocknen in der Sonne lagen, leuchteten die Farben hell in der Sonne. Die Perlen waren alle ganz unterschiedlich, jede auf ihre Weise wunderschön.

Sophia nickte nachdenklich: „Wie wir Menschen.“

Lukas lachte: „Nur die Arme und Beine fehlen.“

Sophia und Isa lachten mit.

„Ich meine, die Farben. Jedes Kind, das auf die Welt kommt, ist wunderschön und einmalig, wie diese Perlen.“

„Ja, jeder ist etwas Besonderes“, nickte Isa, „und jeder ist anders.“

Lukas knuffte Isa leicht mit dem Ellbogen in die Seite und sagte: „Ja. Es gibt Menschen, die mögen keine Marzipantorte.“

Isa lachte. „Dafür aber Plätzchen.“

Als die Perlen getrocknete waren, setzte bereits die Dämmerung ein und Lukas und Isa verabschiedeten sich.

Beide legten die angemalte Perle neben ihr Kopfkissen und kuschelten sich glücklich und zufrieden in ihre Decken. Und der Mond, der in ihre Fenster blickte, warf lächelnd seine silbrig glitzernden Strahlen zu ihnen und tauchte Lukas und Isa in ein wunderschönes Licht.

*ein Geburtstagslied von Rolf Zuckowski

Stille-Bilder

         

Für die eigene Arbeit

Hinweise zur Perle

Die zweite Perle, die der goldenen folgt, steht für das „Ich“. Im bekannten Perlenkranz, den „Perlen des Lebens“ ist diese Perle perlmuttfarben – eine „echte Perle“, die mit ihrem leichten Glanz das Gold der „Gottesperle“ spiegelt. Eine „echte“ Perle ist einzigartig, sie gibt es nicht zwei Mal. Diese Perle lenkt den Blick auf die Einzigartigkeit des Menschen. Durch diese Perle wird jedes Perlenarmband zu einem besonderen.

Für Kinder und Erwachsene ist der Geburtstag in vielen Kulturen der Tag, an dem ihr „Ich“ ganz besonders im Mittelpunkt steht. Von Jahr zu Jahr können sie sehen, wie sie „größer“ werden, wie sie sich verändern. Rituale und Bräuche in Familien und Einrichtungen verleihen dem Gedanken, einen einzelnen Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, Ausdruck.

Auch Isa und Lukas feiern in der Geschichte Geburtstag und beide erhalten ihre zweite Perle, die sie selbst zu ihrer eigenen werden lassen. Darin liegt zugleich eine Idee für die Arbeit mit Kindern: Die „Ich-Perlen“ können sehr gut selbst gestaltet werden, sie müssen nicht perlmuttfarben sein, zumal die handelsüblichen „unechten“ perlmuttfarbenen Perlen ihren Glanz durch das Tragen sehr schnell verlieren. Jedes Kind kann in der Gestaltung das Eigene zum Ausdruck bringen: Welche Farbe(n) soll MEINE Perle tragen? Welche Größe soll sie haben? Welche Form?

Didaktische Ideen

Die Individualität der Kinder, das Wahrnehmen und Ausdrücken der eigenen Person steht in der Kita-Praxis immer wieder im Zentrum. Zahlreiche Bilderbuch-Geschichten wie „Das kleine Ich bin Ich“ von Mira Lobe, „Ich wär so gern ….“ von Werner Holzwarth und Stefanie Jeschke oder „Das beste überhaupt“ von Lorenz Pauli und Kathrin Schärer nehmen das Thema auf und sind teilweise auch mit ergänzenden Materialien zum Einsatz in Kita und Grundschule erschienen. Das „Ich“ ist auch vielschichteiges Thema der Dokumentationen in der Kita. Sich selbst beispielsweise zu zeichnen, individuelle Messlatten oder Fotostrecken von Geburtstagen oder anderen „Stichtagen“ im Jahr, in denen die Veränderung der Person sichtbar wird, sind nur einige Beispiele.

In Einrichtungen, in denen bewusst religionssensibel gearbeitet wird, eröffnen sich mit der Perle noch weitere Vertiefungsmöglichkeiten. Die „Ich-Perle“, die der goldenen Perle folgt, kann den Blick auf eine wichtige Grundhaltung in der religionssensiblen Begleitung  von Kindern lenken: Jedes Kind ist ohne jede Vorbedingung bereits von Gott angenommen, gewollt und geliebt. Diese unbedingte Zusage durchzieht das pädagogische und religionssensible Handeln besonders in Einrichtungen christlicher Trägerschaft und kann mit der Perle zum Ausdruck gebracht werden.

Alle Materialien und Medien zur Perle dürfen für die eigene Arbeit verwendet werden. Zu jeder Perle gibt es eine Bildkarte, die farbig auf A3 gedruckt, in das klassische Erzähltheater (Kamishibai) passt. Das Geschichtenbild kann mit den Kindern zunächst betrachtet und entdeckt werden. Im Anschluss  kann die Geschichte frei erzählt oder vorgelesen werden. Die Vorlesegeschichte mit kleinen Bildelementen darf ebenfalls gedruckt und in der Kita – beispielsweise als Aushang zur Elterninformation – veröffentlicht werden. Wenn die Kinder die Geschichte kennengelernt haben, ist es möglich, eine inhaltliche Auseinandersetzung zum Thema der Perle zu ermöglichen.


Downloadbereich

Die Bildkarte

Die Geschichte mit Bildelementen, Die Geschichte als word-Dokument (ohne Bider)

Die Stille-Bilder: Das Mandala, das Geschichtenbild

Die Geschichte zum Anhören