Sorge um Taffy

Isa und Lukas saßen auf der Schaukel im Apfelbaum. Das Wochenende war gerade angebrochen und sie hatten Zeit. Der leuchtende Garten von Sophia war einladend wie immer und doch war irgendetwas anders. Es schien stiller und leiser zu sein als sonst.
„Die Vögel singen nicht wie sonst“, meinte Isa.
„Ich frage mich eher, wo Sophia und Taffy sind“, gab Lukas zurück.
„Ja, das ist schon seltsam. Vielleicht ist sie nochmal einkaufen“, überlegte Isa.
„Mit Taffy auf dem Markt? Stell dir mal vor: Taffy spielt da mit den Radieschen Katz und Maus …“
Beide lachen bei diesem Gedanken. Da legte Isa den Finger auf den Mund:
„Hör mal.“
Nach kurzem Schweigen antwortete Lukas:
„Und? Ich hör nichts.“
„Eben“, sagte Isa nachdenklich.
„Meinst du …?“
In diesem Moment ging das Gartentürchen und sie sahen Sophia eintreten. Sie trug eine Decke im Arm.
„Komm“, rief Lukas und lief bereits los. „Sophia, wir haben schon auf dich gewartet. Wo warst du bloß?“ Sophia lächelte matt:
„Lasst mich erst mal setzen. Ja?“
„Und was hast du in der Decke?“ Isa versuchte hineinzusehen. Sophia sagte: „Holst du das große Kissen von drinnen? Da, wo Taffy so gern drauf liegt?“
Isa nickte und lief los.
Isa legte das Kissen neben die Gartenstühle unter den Apfelbaum. Sophia legte vorsichtig die Decke darauf ab und schlug sie ein wenig zurück. Lukas’ Augen weiteten sich und Isa sog scharf die Luft ein.

Einen Moment war Stille im Garten.

„Ist Taffy … ist sie … ist sie tot?“
Sophia schüttelte den Kopf und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Nein, Isa, nein. Ich bin so froh. Schau“, Sophia zog die Decke noch ein Stück beiseite, „ihr Bein ist verstaucht. Taffy ist heute Morgen vor ein Auto gelaufen. Der Tierarzt musste sie röntgen und deshalb hat sie etwas zum Schlafen bekommen.“
Isa strich Taffy vorsichtig und liebevoll über den Kopf.

Sophia setzte sich erschöpft auf einen Stuhl.
„Kann ich dir etwas zu trinken holen?“ fragte Lukas. „Gern!“, antwortete Sophia.
Isa ging mit Lukas hinein.
„Hoffentlich wird Taffy wieder ganz gesund.“
„Hoffe ich auch. Ich hol das Wasser und die Gläser.“
„Wollen wir noch einen Teller mit Äpfeln und Keksen machen?“ fragte Isa.
„Gute Idee. Für Taffy nehmen wir auch was mit.“
Isa lief mit dem Wasser schon vor und Lukas trug das Tablett.
Isa wandte sich zu Lukas um und legte ihren Finger auf den Mund und Lukas sah, dass Taffy noch immer schlief und auch Sophia eingeschlafen war. Er stellte leise das Tablett auf den Tisch.
Nach einer ganzen Weile reckte sich Sophia.
„Oh, ein schön gedeckter Tisch und an Taffy habt ihr auch gedacht.“ Sie lächelte.
„Wir können dich jeden Nachmittag besuchen und dir helfen, bis Taffy wieder gesund ist.“
„Bestimmt“, nickte Isa.
„Das nehme ich gern an und Taffy bestimmt auch. Wir bringen sie gleich rein. Sie soll nicht herumlaufen und springen, sondern sich wirklich schonen. Habt ihr so lange Zeit?“ „Klar“, sagten beide gleichzeitig.

Als Lukas und Isa an der Haustür standen, um sich auf den Heimweg zu machen, kam Sophia mit schnellen Schritten an die Tür. Sie wollte Taffy nicht so lang allein lassen im Nebenzimmer.

„Schaut mal, die beiden Perlen lagen auf eurem Teller zwischen den Äpfeln und Keksen. Sie sind bestimmt für euch.“ Sophia legte jedem von ihnen eine in die Hand, da maunzte Taffy. Sophia eilte zurück und rief den beiden noch nach: „Bis morgen! Und zieht die Haustür hinter euch zu.“

     

Für die eigene Arbeit

Hinweise zur Perle

In diesem Monat folgt die zweite „Perle der Liebe“. Die erste rote Perle steht für das „Geliebt-werden“. Die zweite rote Perle steht für: „Liebe schenken“.

Das Thema dieser Perle ist für viele Menschen oft schnell zugänglich: Liebe und Zuneigung auszudrücken gehört völlig unabhängig vom Alter zu wesentlichen menschlichen Bedürfnissen. Bedeutsam ist, dass das Gefühl, selbst geliebt zu werden, das in der ersten roten Perle im Mittelpunkt steht, eine wichtige Basis dafür ist, sich auch anderen Menschen unvoreingenommen liebend zuzuwenden und dies auszudrücken. Deshalb ist es sinnvoll, beide Dimensionen, die in den roten Perlen enthalten sind, mit den Kindern mit Zeit und Sorgfalt jeweils für sich zu ergründen.

Die roten Perlen berühren das emotionale und soziale Erleben von Kindern besonders stark. Sie leben in unterschiedlichsten emotionalen und sozialen Verbindungen zu anderen Menschen, Tieren oder auch Gegenständen.
Gerade die Verbindungen zwischen Kindern und erwachsenen Bezugspersonen sind häufig auch von Abhängigkeiten geprägt. In Bezug auf die zweite Perle der Liebe kann dies heißen: „Ich schenke dir etwas, damit du mich lieb hast.“, damit „schneller Frieden“ einkehrt und eine Athmosphäre von Sicherheit hergestellt wird. Verhaltensweisen in dieser Richtung lernen Menschen bereits zu Beginn ihres Lebens. Bei Kindern lässt sich dies oft auch im Handeln untereinander beobachten, beispielsweise wenn sie miteinander spielen und der Satz fällt, den vielleicht jeder schon einmal gehört hat: „Wenn du mir das Spielzeug nicht gibst, lade ich dich nicht zum Geburtstag ein“.
Etwas für einen anderen Menschen zu tun, damit dieser mich mag, quasi ein Tauschhandel, ist eine Grunderfahrung, die in der zweiten roten Perle zum Thema werden kann und die zum Alltsgserleben von Kindern (und Erwachsenen) gehört. Diese Grunderfahrungen mit Kindern (auch kritisch) zu betrachten, kann sich im Zusammenhang mit der Perle des „Liebe schenkens“ besonders anbieten.

Daneben können mit der zweiten roten Perle weitere Grunderfahrungen aufgegriffen werden, die ebenfalls bereits bei sehr jungen Kindern zu beobachten sind. Wenn beispielsweise ein Zweijähriger zu seiner Mutter in die Küche geht, die dort gerade aufräumt, und beginnt, die Gläser aus der geöffneten Spülmaschine auszuräumen, dann ist die Dimension der zweiten roten Perle in ihrem Kern berührt. Zu sehen, was der andere gerade braucht, Verbindung aufbauen und durch das eigene Tun intuitiv einen Beitrag dazu leisten wollen, damit die Verbindung bleibt oder gestärkt wird – damit lassen sich diese Erfahrungen und der Kern der Perle des „Liebe-schenkens“ umschreiben.
Sich in andere Menschen einzufühlen, Empathie zu empfinden und diese auszudrücken, ist ein wesentlicher Bestandteil für Verhaltensweisen, die in diese Richtung weisen. Empathiefähigkeit wird dabei natürlich auch von entwicklungspsychologischen Komponenten beeinflusst. Sie kann darüber hinaus geübt und dadurch intensiviert werden. Dennoch kann die grundsätzliche Fähigkeit zur Empathie als angeborenes menschliches Potential angesehen werden.

Die Geschichte von Isa, Lukas, Sophia und Taffy bringt die Zuhörenden in eine Situation, die von Empathie, Sorge und Fürsorge in unterschiedlichsten Facetten geprägt ist. Fürsorge einem Tier gegenüber zu empfinden und ausdrücken zu wollen, liegt vielen Kindern nahe. Eine zweite Ebene kommt hinzu: Die beiden Kinder sehen die Erschöpfung Sophias und ihre Sorge und wollen ihr selbst bewusst oder aus dem Bauch heraus etwas „Gutes tun“. Sie finden dafür einen eigenen Weg, haben eine eigene Idee, die sie umsetzen.

Methodische und didaktische Ideen

Alle Materialien und Medien zur Perle dürfen wie bei allen zuvor veröffentlichten Perlen für die eigene Arbeit verwendet werden. Auch zu dieser Perle gibt es eine Bildkarte, die farbig auf A3 gedruckt, in das klassische Erzähltheater (Kamishibai) passt.

Bei dieser Geschichte ist es womöglich hilfreich, das Bild nicht vor der ersten Begegnung mit dem erzählten oder gelesenen Text zu zeigen, um die Spannung aufrechterhalten zu können. Die Geschichte könnte in diesem Fall in einer anderen Gestaltungsform mit den Kindern erfahren und beispielsweise in einer Bodenbildgestaltung umgesetzt werden.

Folgende Schritte wären möglich, um die Erzählung einzubringen:

– Zu Beginn kann ein Filzherz, verdeckt in einem Korb, herumgegeben und von den Kindern erfühlt werden. Im Anschluss können sie eingeladen werden zu beschreiben oder ohne Worte darzustellen, was sich wohl in dem Korb verbirgt.

– Dann kann Sophias Garten als Grund und Boden der Geschichte gestaltet werden. Wenn die Kinder bereits andere Geschichten von Isa und Lukas kennen, dann haben sie vermutlich auch Ideen dazu, wie Sophias besonderer Garten aussehen könnte. Die Grundlage für den Garten kann ein grünes rundes Tuch bilden, ein Gartenzaun kann aus Holzteilen oder Bausteinen von den Kindern gelegt werden. Für die Ausgestaltung des Gartens kann unterschiedliches Legematerial bereitgehalten werden. Um in die Gestaltung zu kommen, können die Kinder gefragt werden: „Was gibt es alles in Sophias Garten?“ Je nachdem, was die Kinder nennen, können sie diese Elemente in den Garten legen. In die Mitte des grünen Tuches wird das Herz gelegt.

– Für die Darstellung der Menschen können Kegelfiguren oder Tücher verwendet werden. Für Taffy kann etwas graue Schafwolle, umhüllt von einer kleinen Decke in das Bild gebracht werden.

– Wenn die Gartenszene in der Mitte entstanden ist, kann die Geschicht frei erzählt werden. Dabei ist es gut möglich, die Erzählung an unterschiedlichen Stellen zu unterbrechen und die Kinder gedanklich mit einzubeziehen. Beispielsweise können sie gefragt werden, was an dem Tag anders sein könnte, was Isa und Lukas fühlen und denken, als Sophia durch die Gartentür tritt usw.

– Im Anschluss an die Geschichte können die Kinder zu eigenen Gestaltungen angeregt werden. Dafür werden kleine Tücher oder auch Servietten benötigt, damit die Kinder eigene Bilder rund um das Mittetuch legen können. Sie können auf diesem Tuch gestaltend legen, was ihnen an der Geschichte gefallen hat, an welcher Stelle sie vielleicht selbst besorgt waren, oder was ihnen nicht gefallen hat.

– Im Anschluss oder auch bei einem nächsten Treffen im Kreis kann das Herz, das zu Beginn von den Kindern ertastet wurde und während des Erzählens in der Mitte lag, als Impuls für vertiefende Gespräche oder Gestaltungen dienen. „Was erzählt das Herz in/von der Geschichte?“

Ist die Geschichte auf diese oder ähnliche Weise erzählt worden, kann auch die Bildkarte gezeigt werden und als Erinnerung an die Geschichte im Erzähltheater verbleiben, solange das Thema in der Gruppe von Bedeutung ist.
Zur thematischen Vertiefung können die Ideen von Isa und Lukas in der Geschichte aufgegriffen werden. Vielleicht kennen die Kinder eigene Erlebnisse oder Geschichten, in denen jemand sieht, das eine andere Person etwas braucht und dies frei schenkt. Voraussetzung dafür ist das Sich-Einfühlen in die andere Person. Dies kann mit Kindern in unterschiedlichen Formen und mit unterschiedlichen Übungen immer wieder aufs Neue geübt werden.

Eine andere Vertiefungsmöglichkeit ergibt sich durch „Geschenkefeste“, die den Jahreslauf prägen. Echte Geschenke, die Zuneigung und Liebe ausdrücken, setzen voraus, dass sich die schenkende Person in das Gegenüber einfühlt. In Einrichtungen, in denen ausdrücklich auch religionssensibel agiert wird, kann dann auch leicht eine Verknüpfung zwischen den beiden roten Perlen erfolgen: Wenn Weihnachten Geschenke zwischen Menschen geschenkt werden, erfolgt dies auf der Grundlage der Idee, dass Menschen durch die Geburt Jesu von Gott beschenkt werden und geliebte Wesen sind. Einen sinnlich erfahrbaren Ausdruck findet dies in Geschenken zwischen Menschen, in denen sich die beschenkte Person als bewusst wahrgenommen und geliebt erleben kann.

Je nach Ausrichtung der pädagogischen und religionssensiblen Arbeit ist es auch möglich, gerade im Winter, auf einzelne Heiligenlegenden einzugehen, in denen das Schenken durch die Wahrnehmung von Bedürfnissen und als Ausdruck von Liebe im Mittelpunkt steht (z. B. Nikolaus).


Downloadbereich

Die Bildkarte

Die Geschichte mit Bildelementen, Die Geschichte als word-Dokument (ohne Bilder)

Die Stille-Bilder: das Mandala, das Geschichtenbild

Die Geschichte zum Anhören