Allein

Inzwischen war der Frühling fast schon zum Sommer geworden. Die Sonne schien warm. Lukas kam heute etwas später in den Kindergarten. Seine Mutter hatte frei und sie konnten sich Zeit lassen. Er freute sich und wollte mit Isa im Sand eine große Burg bauen mit tiefem Graben. Bei dem Wetter konnten sie ihn bestimmt mit Wasser füllen.
„Wo ist Isa bloß?“
Lukas sah sich suchend um. Er entdeckte sie in der Puppenecke. „Isa“, Lukas lief zu Isa hin, „ich hab eine super Idee für draußen.“ „Lukas, ich kann jetzt nicht. Ich spiele gerade.“
„Ja, aber ich wollte auch mit dir spielen.“
„Jetzt nicht, wir sind schon mitten drin.“
„Ich wollte eine Burg …“
„Lukas, ich will jetzt hier weiterspielen, später vielleicht.“
Isa drehte Lukas den Rücken zu. Lukas ließ die Arme hängen. Gern hätte er Isa wenigstens von seiner Idee erzählt.
Als Kirsten rief: „Die ersten können frühstücken und dann rausgehen!“, spielte Isa immer noch in der Puppenecke. Lukas frühstückte allein an einem Tisch, er hatte keine Lust auf jemand anders.
Als er mit ein paar anderen, die auch schon fertig waren, in den Garten ging, sah er Isa mit ein paar anderen Mädchen gerade frühstücken.
Er ballte die Fäuste und hätte Isa am liebsten angeschrien.
Wütend kickte er ein Stöckchen zur Seite. Auf Sand hatte er keine Lust mehr. Lukas verkroch sich hinter einem der großen Büsche. Hier war es ruhig. Hier konnte er allein sein. So saß er eine Weile im Gras. Er wischte sich mit dem Handrücken über seine Wangen.
Er sah den gelben Zitronenfalter nicht, der lautlos vorüber flog und bemerkte auch den sanften Wind nicht, der die Löwenzahnblumen sacht hin und her bewegte.
So saß er eine ganze Weile bis er Isa rufen hörte:
„Lukas,… Lukas,…!“ Er antwortete nicht. Es blieb eine Weile still, dann schob jemand die Zweige zur Seite.
„Ach, hier bist du!“, sagte Isa, „Ich habe dich schon gesucht.“ Sie setzte sich neben Lukas.
„Und was machen wir?“ fragte sie vergnügt.
Da platzte es aus Lukas heraus:
„Du willst doch gar nicht mit mir spielen. Du hörst nicht mal zu.“ Isa schluckte.
„Das stimmt doch gar nicht.“
Aber Lukas fiel ihr wütend ins Wort.
„Klar stimmt das. Du hast mich einfach stehen lassen. Nicht mal zugehört hast du mir, als wären wir nicht befreundet.“
Isa war unsicher, was sie sagen sollte:
„So hatte ich das nicht gemeint. Ich hatte heute Morgen Spaß, in der Puppenecke zu spielen. Und wir waren so toll im Spiel. Da hatte ich keine Zeit. Und ich habe ja noch mehr Freunde. Du doch auch.“
„Ich fand es trotzdem blöd.“
Sie schwiegen bis Lukas sagte:
„Also, immer noch Freunde?“
„Klar, was denkst du denn? Was wolltest du denn heute Morgen?“, fragte Isa.
„Ich habe mir eine Burg ausgedacht mit Graben und echtem Wasser.“
„Und, noch Lust?“, fragte Isa.
„Ja“, antwortete Lukas, „bis zum Mittagessen haben wir noch Zeit. Komm. Ich
würde gern ein Türmchen an die Burg anbauen.“
Der Sand ließ sich gut formen und den Graben hatten die beiden auch bald ausgehoben.
„Ich habe noch Tonperlen in meinem Rucksack vom Töpfern, wollen wir die Burg damit verschönern? Ich hole sie schnell“, sagte Isa. Isa hielt Lukas die Tonperlen hin.
„Oh, schön“, sagte Lukas.
„Ich schenk dir nachher eine“, sagte Isa. „Hilfst du mir später, sie wieder einzusammeln?“
Lukas nickte.
Als Kirsten zum Mittagessen rief, waren sie gerade fertig geworden, das Wasser in den Graben zu gießen und gemeinsam ihr Werk zu bewundern. Die Tonperlen sammelten beide vor dem Essen wieder ein und Isa schenkte Lukas eine, wie versprochen. Er packte sie in seinen Rucksack und
freute sich schon darauf, sie zu den anderen Perlen zu legen.

Stille-Bild

        

Für die eigene Arbeit

Hinweise zur Perle

Nach der Perle der Gemeinschaft wird in dieser Perle ein neues Thema eröffnet. In den „Perlen des Lebens“ heisst diese Perle „Wüstenperle“. In der  Auseinandersetzung mit ihr wird alles in das Zentrum gerückt, was im eigenen Leben „Wüste“ sein kann. Wüstenerfahrungen – was kann damit gemeint sein? Assoziationen zur Wüste können sehr vielfältig sein. Die Wüste birgt Entbehrungen, Leere, Bedrohung und vielleicht Orientierungslosigkeit. Die Idee der Wüste kann dann im eigenen Leben die konflikthaften Situationen des Alltags aufnehmen, in denen sich die Erfahrungen um Streit, Erschöpfung, Wut oder eben ein gefühltes „nicht-wissen-woher-wohin-wozu“ drehen. In der Wüste steckt zugleich eine andere Qualität von Erfahrungen. Wüste kann auch für einen positiven oder bewussten Rückzug, ein „sich leeren“, eine Konzentration stehen. Auch damit können Lebenserfahrungen im Alltag angesprochen werden. Momente, in denen ein Mensch ganz bewusst in das Alleinsein geht, um sich neu zu orientieren. Um einen Abstand herzustellen und vielleicht auch eine veränderte Perspektive auf gemachte Erfahrungen oder Erlebnisse zu gewinnen.

Menschen jeden Alters kennen womöglich nicht eine „echte“ Wüste, aber sehr wohl „Wüsten-Erfahrungen“ im eigenen Alltag. Auch Kinder kennen Bedorhungen und Entbehrungen in sehr unterschiedlichen Bereichen. Sie kennen Erschöpfung, Streit und „wütend-sein“ und vielleicht auch Impulse, sich selbst zurück zu ziehen. In dieser Perle kann sich alles um diese Erfahrungen der Kinder drehen. Die „Wüstenperle“ ist damit eine wertvolle Perle im Pelenkranz. Denn es sind gerade diese Erfahrungsbereiche, die mit Kindern oft wenig thematisiert werden können. Die Wüstenperle gibt Anlass und Gelegenheiten, diese Erfahrungen mit den Kindern gemeinsam zur Sprache zu bringen.

In der Geschichte ist es besonders Lukas, der „Wüste“ erlebt. Er ärgert sich, ist wütend und zieht sich zurück. Zugleich gibt es am Ende der Geschichte eine neue Begegnung zwischen Lukas und Isa. Aus Lukas „Wüstenerfahrung“ heraus gibt es einen neuen Anfang.

Didaktische Ideen

Bei dieser Perle ist es möglich, sich mit den Kindern dem Motiv „Wüste“ mit allen Sinnen anzunähern. Natürlich kann nicht vorausgesetzt werden, dass Kinder schon einmal in einer „echten Wüste“ waren. Sie kennen aber Hitze, Durst und Trockenheit. Phantasiereisen können die Annäherung der Kinder an den vielfältigen Ort „Wüste“ unterstützen und auch die unterschiedlichen Qualitäten (Bedrohung und Quelle der Kraft und Neuorientierung) von Wüstenerfahrungen zeigen.

In der Auseinandersetzung mit der Geschichte von Lukas und Isa kann sich dann eine Vertiefung um die Bereiche „Streiten und Vertragen“ oder auch um die Frage „Was mache ich, wo gehe ich hin, wenn es mir geht wie Lukas?“ drehen. Natürlich ist das Reden über diese Fragen nur ein kleiner Teil in der Begleitung der Kinder. Von Bedeutung ist eine viele Sinne ansprechende Auseinandersetzung (kreative Zugänge, Malen, Spielen, Bilder legen, Klänge erzeugen), um eine Vertiefung zu unterstützen.

In Einrichtungen, in denen bewusst religionssensibel gearbeitet wird, eröffnen sich mit der „Wüstenperle“ weitere Vertiefungsmöglichkeiten. Zahlreiche Erzählungen der Bibel spielen in der Wüste und in ihnen ist es auch der Ort „Wüste“, der für die Erzählung wichtig ist. Eine von diesen Erzählungen kann sehr gut im Zusammenhang mit der Perle gestaltet werden.

Alle Materialien und Medien zur Perle dürfen für die eigene Arbeit verwendet werden. Zu jeder Perle gibt es eine Bildkarte, die farbig auf A3 gedruckt, in das klassische Erzähltheater (Kamishibai) passt. Das Geschichtenbild kann mit den Kindern zunächst betrachtet und entdeckt werden. Im Anschluss  kann die Geschichte frei erzählt oder vorgelesen werden. Die Vorlesegeschichte mit kleinen Bildelementen darf ebenfalls gedruckt und in der Kita – beispielsweise als Aushang zur Elterninformation – veröffentlicht werden. Wenn die Kinder die Geschichte kennengelernt haben, ist es möglich, eine inhaltliche Auseinandersetzung zum Thema der Perle zu ermöglichen.


Downloadbereich

Die Bildkarte

Die Geschichte mit Bildelementen, Die Geschichte als word-Dokument (ohne Bilder)

Die Stille-Bilder: Das Mandala, das Geschichtenbild

Die Geschichte zum Anhören