Ein Nachmittag voller Überraschungen

Der Herbst neigte sich dem Ende. Es war schon kälter geworden. Isa stand am Küchenfenster und beobachtete den Weg zur Haustür. Sie war beeindruckt und fasziniert von den winzigen ersten Schneeflocken. Sie tanzten in der Luft,bevor sie sacht und lautlos zu Boden fielen. Der Vorgarten und der Weg zum Haus sahen schon leicht gezuckert aus.

Sie sah Lukas’ rote Pudelmütze schon aus der Ferne leuchten, stürmte zur Haustür und noch bevor Lukas klingelte, riss Isa die Tür auf.

Sophia hatte die beide eingeladen und versprochen, sie würde endlich verraten, wo Taffy die letzten Wochen gewesen war. Taffy hatte sich gut von ihrer Verletzung erholt, war schon bald wieder unterwegs gewesen und ganz die Taffy, die sie kannten.
Und nun hatten sie die Katze von Sophia schon eine ganze Weile nicht gesehen. Sophia hatte immer wieder gesagt, Taffy bräuchte ein bisschen Ruhe. Isa und Lukas sorgten sich schon, ob die Katze krank wäre. Der damalige Unfall hatte ihnen einen Schreck eingejagt.

Sophia hatte beide beruhigt, wollte aber partout das Geheimnis nicht lüften. Doch heute sollte es soweit sein. Heute erfuhren sie, was eigentlich die letzten Wochen los war. „Lass uns schneller gehen“, Isa zog Lukas am Ärmel durch das Gartentor zu Sophias Häuschen. Sie klingelte. Stille. Sie klingelte noch einmal. Sie lauschten: Sie hörten Sophia die Treppe hinunterkommen.

„Hallo ihr zwei“, Sophia schmunzelte, „ihr seid ja ganz außer Atem.“ „Wo ist sie?“ Isa sah sich suchend um. Sophia nahm ihr die Jacke ab. „Erst Schuhe ausziehen.“ „Aber es geht ihr doch gut?“ „Ja“, sagte Sophia, „sehr gut sogar. Sie ist nicht mehr so allein.“ Überrascht sah Lukas auf: „Taffy hatte doch immer dich und uns?“ Sophia lachte: „Dies ist etwas anderes. Du wirst schon sehen.“ Sophia ging die Treppe hinauf. Die beiden folgten ihr. Mit Vorsicht öffnete Sophia die Tür zu einem der Zimmer und schloss sie hinter ihnen wieder. „Also…“, weiter kam Lukas nicht. Er sah Taffy gemütlich auf dem kleinen Sofa liegen, drei kleine Fellknäule um sie herum.
Eines der kleinen Kätzchen hob sofort den Kopf, sprang vom Sofa und kam auf sie zugelaufen. Isa hockte sich hin und spielte mit der Kleinen. Sie war schwarz gefleckt, weich und zart und hatte die gleichen violett schimmernden Augen wie ihre Mutter.

Lukas setzte sich auf das Sofa und Taffy schmiegte sich an ihn. „Da hattest du ein schönes Geheimnis. Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Hast du uns ein bisschen vermisst?“ Taffy schnurrte. „Haben die Kleinen schon Namen?“ fragte Isa an Sophia gewandt. „Nein. Fallen euch welche ein?“ „Bestimmt“, sagten beide wie aus einem Mund. „Sind es Kätzchen oder Kater?“ „Zwei Kater und ein Kätzchen“, gab Sophia zurück. Lukas und Isa dachten sich den gesamten Heimweg über Namen für die kleinen Kätzchen aus. Schließlich entschieden sie sich für Mo, Kasimir und Flöckchen. Lukas schrieb die Namen zuhause auf. Am nächsten Morgen fand er neben dem Notizzettel zwei weiße Perlen.

Für die eigene Arbeit

Hinweise zur Perle

Drei kleine „Geheimnis-Perlen“ gehören in den Perlenkranz „Perlen des Lebens“. Nach einem aufregenden und einem bedrückenden Geheimnis steht nun eine weitere Qualität von Geheimnissen im Mittelpunkt. Diesmal ist es ein Geheimnis, das eine Überraschung ist und von Vorfreude begleitet wird.

Kinder kennen diese Art von Geheimnissen womöglich von beiden Seiten: zu Geschenkefesten sind sie diejenigen, die auf Überraschungen hinfiebern, wie Isa und Lukas in der Geschichte. Beide akzeptieren das Abwarten, auch wenn die Spannung nicht so leicht auszuhalten ist. Die Überraschung Sophias entfaltet ihre Kraft nur im Zusammenhang mit dem Geheimhalten der Überraschung.
Gerade ältere Kinder kennen aber auch die andere Seite des Geheimnisses: Sophia hütet das Geheimnis, das genau zum richtigen Zeitpunkt gelüftet werden soll. Vielleicht haben auch sie schon einmal eine Überraschung für andere geheimgehalten – auch dieses Abwarten ist oft gar nicht so einfach.

Damit ist die Geschichte nah an den Erlebnissen und Erfahrungen der Kinder.

Darüber hinaus eröffnet sich eine weitere Dimension: Sophias Überraschung hat sie ja nicht selbst gemacht. Die Geburt der kleinen Kätzchen ist nicht wie ein selbst gebasteltes Geschenk, sondern vielmehr ein „unplanbares Geschenk“. Der Beginn des Lebens ist damit ein Stück geheimnishaft und damit auch unverfügbar. Kinder kennen woböglich auch so etwas, wenn beispielsweise Geschwister zur Welt kommen, oder sie die Geburt von Jungtieren bei Haustieren erleben.

Methodische und didaktische Ideen

Alle Materialien und Medien zur Perle dürfen für die eigene Arbeit verwendet werden. Auch zu dieser Perle gibt es eine Bildkarte, die farbig auf A3 gedruckt, in das klassische Erzähltheater (Kamishibai) passt. Hinzu kommt ein Mandala und ein Ausmalbild. Beides kann je nach Bedarf verwendet werden.

Eine Erzählrunde zu den vorhergegangenen Geheimnisgeschichte oder generell zu Geheimnissen kann einen Einstieg in die Geheimnisperlen bieten.

Die grundlegende Erfahrungsdimensionen der Geschichte liegen einerseits im Warten und in der Erwartung eines geheimen Ereignisses sowie in der Vorbereitung von Überraschungen für andere Menschen. Andererseits wird der Fokus auf unverfügbare Lebensereignisse und die für diese empfundene Freude und Dankbarkeit geworfen.

Im Vorfeld dieser Geheimnisgeschichte könnte mit den Kindern in der Gruppe oder Klasse ein Spiel initiiert werden, um die erstgenannten Dimensionen anzubahnen: Wie beim „Wichteln“ schreiben die Kinder ihren Namen auf einen Zettel, die Zettel werden gesammelt und dann zieht jedes Kind einen Namen. Für das Kind, dessen Namen gezogen wurde, bereitet das Kind, das diesen Namen gezogen hat, eine Überraschung vor. Zwei Tage lang haben die Kinder für die Überraschungsvorbereitung Zeit. In einem Morgenkreis wird dann die Übergabe der Überraschungen gefeiert. Nach solch einem Spiel findet sich leicht ein Einstieg in den Kern der Geschichte, in die Gefühle, die durch das Geheimhalten und Abwarten ausgelöst werden und natürlich auch in diese, die sich durch das Beschenktwerden einstellen.
In Bezug auf die andere Erfahrungsdimension, das Erleben von ungeplanten Ereignissen, die unverfügbar sind, kann durch biografische Erzählungen der Kinder aufgenommen und vertieft werden.

Je nach Ausrichtung der pädagogischen und religionssensiblen Arbeit ist es bei dieser Perle möglich, die genannten Erfahrungsdimensionen, die sich durch die Geschichte eröffnen, mit biblischen Texten in Verbindung zu bringen. Für diese Perle können es biblische Texte sein, die sonst in der Advents- und Weihnachtszeit ihren Platz haben (Geschichten vom Warten, Geschichten von Geheimnissen, Geschichten von Freude und Dankbarkeit).


Downloadbereich

Die Bildkarte

Die Geschichte mit Bildelementen, Die Geschichte als word-Dokument (ohne Bilder)

Die Stille-Bilder: das Mandala, das Geschichtenbild

Die Geschichte zum Anhören